SMART-CITIES-TAG | 11.Juli 2019

Wenn sich Expertinnen und Experten zur Stadt der Zukunft mit Notizbüchern und Wanderschuhen nach Hinterstoder begeben, dann ist wieder Smart City Tag. Dieser fand auf Einladung des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) am 11. Juli 2019 zum sechsten Mal im Landinger Sommer statt.

Gastgeber Michael Paula betonte bei seiner Begrüßung, dass neue Gedanken den Spielraum brauchen, den so ein Tag bietet – und den Austausch von AkteurInnen aus möglichst unterschiedlichen Bereichen, der im Arbeitsalltag nur eingeschränkt stattfinden kann.

„Welche Frage stellen wir uns im Zusammenhang mit der Smart City viel zu selten?“. Die Antworten der Teilnehmenden auf diese Frage in der Vorstellungsrunde veranschaulichten die Vielfalt der möglichen Blickwinkel auf das Thema. Diese Vielfalt zeigte sich auch bei den zehn Kurz-Inputs, für die die ImpulsgeberInnen jeweils maximal 7 Bilder in 7 Minuten zur Verfügung hatten.

Thomas Kienberger, Leiter des Lehrstuhls für Energieverbundtechnik an der Montanuniversität Leoben und des NEFI_Labs im Innovationsverbunds NEFI, beschäftigte sich mit der Smart City als Flexibilitätsanbieter im Energiesystem der Zukunft. Im Hinblick auf die Mission 2030 betrachtete er u.a. den Ausbau der Erneuerbaren Strompotenziale in Oberösterreich und zeigte anhand des Projekt Smart Exergy Leoben die Möglichkeiten der Abwärmenutzung auf.

Petra Schöfmann vom Energy Center bei urban innovation vienna plädierte dafür, das Thema Plus-Energie-Quartiere möglichst “breit zu fassen”. Um das Ziel „100% erneuerbare Energie“ zu erreichen, setzt sie auf ein faires Energiegewinnungs-Konzept, das unter anderem eine Umverteilung zwischen StromerzeugerInnen und StromverbraucherInnen auf Basis von Geschossflächenzahlen und den damit einhergehenden Erzeugungspotenzialen vorsieht.  

Nadja Bartlmä vom Institute of Building Research veranschaulichte, wie ein Plus-Energie-Quartier in der Praxis aussehen kann: Im Zuge des Komplettumbaus der Ottakringer Brauerei im 16. Wiener Gemeindebezirk entstand ein solches, in dem u.a. durch Prozesskälte, UV-Anlagen und industrielle Abwärme 88% der notwendigen Energie lokal gewonnen werden kann.

Stefan Geier von der MA 20 der Stadt Wien bringt zwei Welten zusammen, die zu oft nur „co-existieren“ – die Stadtplanung und die Energieplanung. Er erarbeitete ein Fachkonzept für Energieraumplanung, das Energie und Klimaschutz als integrale Bestandteile der Stadtplanung etablieren soll. Er wies auf die Dringlichkeit eines solidarischen Energiesystems hin. Dazu braucht es unter anderem wirkungsvolle Raumordnungsinstrumente (wie städtebauliche Verträge oder die Bauordnung) und einen vereinfachten Zugang zu Energie-Daten (Stichworte: Open Data und Open Source).

Helmut Strasser vom SIR erklärte anschaulich, auf welchen Tasten (und rechtlichen Instrumenten) räumliche Energieplanung spielen muss, um Wirkung zu erzielen. Auf kommunaler Ebene ortet er hier großen Unterstützungsbedarf. Eine solche Unterstützung bietet das Land Salzburg den Kommunen daher bei Energieraumanalysen, der Erhebung lokaler Potenziale, Prognosen zum Bedarf oder bei der Entwicklung von Szenarien – damit dies im Bebauungsplan oder in städtebaulichen bzw. privatrechtlichen Verträgen integriert werden kann.

Claudia Dankl vom VÖZ beschäftigte sich in ihrem Input mit der Aktivierung von Bauteilen aus Beton als Bestandteile von Kühl- und Heizsystemen (Bauteilaktivierung). Die Energiespeicher-Funktion des Baustoffs wird aus ihrer Sicht insbesondere beim Kühlen von Bauten zukünftig eine große Rolle spielen. Als Pilotprojekt präsentierte sie einen Sozialen Wohnbau in der Wiener Mühlgrundgasse, der von der IBA Wien zum „Game Changer“ bei der Energieversorgung im Wohnbau prämiert wurde.

Martina Ammer-Grausgruber von der Vorzeigeregion WIVA skizzierte die sinnvollen Anwendungsbereiche von grünem Wasserstoff in der Smart City. Sie betonte unter anderem die Chancen, die in seinem Einsatz im öffentlichen sowie im Schwer-Verkehr liegen. Sie erklärte aber auch, wie die Versorgungssicherheit erhöht werden kann, in dem seine Potenziale als saisonaler Speicher genutzt werden oder wie er zur Dekarbonisierung industrieller Prozesse beitragen kann.

Emilia Bruck von der TU Wien beforscht im Projekt Avenue21 die automatisiere Mobilität. Sie präsentierte, wie sich Städte und Kommunen im Umgang mit diesem Thema positionieren, welche Maßnahmen sie in diesem Zusammenhang priorisieren und wer die wichtigen Akteure sind. Die Stadt Wien verortet sie dabei in einer abwartenden und beobachtenden Position („Wait and See“) und sieht ihren Entwicklungsfokus bei der Multi- und Intermodalen Mobilität sowie bei „Mobility As A Service“.

Die in den Inputs aufgeworfenen Fragen wurden in zwei Sessions diskutiert. Zur Mittagszeit brachen die TeilnehmerInnen dann mit der Fragestellung „Wie sieht ein wirkungsvolles Smart City Projekt aus, für das sie uns für verrückt erklären werden?“ zur Hössalm auf. In den 6er-Gondeln, am Sessellift, beim Wandern und beim Essen im Berggasthof Höss wurde auf über 1.800 Metern Höhe zu dieser Frage und vielen anderen Themen weiterdiskutiert.

Den Nachmittag eröffneten drei weitere Kurz-Inputs.

Susanne Supper stellte die Vorzeigeregion Green Energy Lab vor. Österreichs größtes „Innovationslabor“ für grüne Energie umfasst vier Bundesländer und rund 5 Millionen Menschen. Das Green Energy Lab sieht diese nicht einfach als „EndkundInnen“. Sie sollen vielmehr als sogenannte „Prosumer“ mitgestalten, indem sie z.B. Strom und Speicherkapazitäten teilen oder ihre Stromproduktion und ihren Verbrauch optimieren. Innovative Ideen werden gefördert, etwa in der frühen Phase der Projektentwicklung oder in der Markteinführung.

Hans Schnitzer vom StadtLABOR Graz weiß von seinen Reisen nach Vietnam, wie Stadtentwicklung auch ohne Planung passiert oder wie sich Verkehrsströme „selbst organisieren“. Dass es keine Smart City Strategie braucht, um „smart“ zu leben, demonstrierte er anhand des Zero Waste Systems kleiner Farmen mit Viehzucht im ländlichen Raum Vietnams. Mit eindrucksvollen Bildern zeigte er, wozu Planungsmaßnahmen in den Großstädten allerdings auch führen können: Zum Verlust von Identität, von Freiräumen oder der Möglichkeit, zu Fuß zu gehen

Volker Schaffler vom BMVIT nahm in seinem Input komplexe Systeme in den Fokus. Zu oft findet man in solchen Systemen nur das, wonach man sucht. Im Zusammenhang mit der Smart City plädiert er daher anhand eines sehr illustrativen Kurzfilms für mehr Achtsamkeit – eine perfekte Überleitung zu den nachfolgenden Workshop-Sessions.

Die TeilnehmerInnen definierten für die abschließenden Workshops 4 Fragestellungen:

1: Wie soll die Stadtverwaltung der Zukunft aussehen?

2: Wie viel zivilen Ungehorsam braucht es im Kampf für mehr Klimaschutz?

3: Wer muss was tun, damit Quartiere und Siedlungen innovativ und dekarbonisiert werden?

4: Wie lassen sich Altbaubestand und Energieziele vereinbaren? 

Dazu entwickelten die 4 Gruppen mit unterschiedlichen Methoden Antworten, die sie anschließend im Plenum präsentierten:

Gruppe 1: Eine zukunftstaugliche Verwaltung fördert Innovation und lässt dabei auch Fehler zu. Es braucht eine interdisziplinäre Strategie, die über alle Bereiche der Verwaltung hinweg funktioniert. Die Gruppe empfiehlt einen Erfahrungsaustausch mit anderen Städten. Im Vordergrund müssen Prozesse des Lernens und Entwickelns stehen. Und es braucht Mut. Die Gruppe schlägt daher eine Auszeichnung für besonders mutige Menschen in der Verwaltung vor.

Gruppe 2: Die Gruppe fragte sich, wie mehr Druck auf EntscheidungsträgerInnen durch die Bevölkerung („Masse“) erzeugt werden kann, damit neue gesetzliche Rahmenbedingungen für wirkungsvollen Klimaschutz geschaffen werden. Dazu soll verstärkt die emotionale Ebene angesprochen werden. Neue Medien sollen genutzt, Stories erzählt und HeldInnen in den Fokus gestellt werden. Manchmal wird der Weg zu neuen Gesetzen auch zum „Rand des gerade noch gesetzlich erlaubten“ führen.

Gruppe 3: Für diese Gruppe müssen Menschen, die etwas verändern wollen, besonders unterstützt werden. Sie skizzieren die Herausforderung als Sanduhr mit einem breiten Wissen oben und den Stakeholdern unten. Dazwischen muss das Wissen von „Innovations-Kümmerern“ kondensiert und in eine andere “Sprache” übersetzt werden. Große Aufgaben, wie 100% Dekarbonisierung, müssen in für die Einzelnen handhabbare Pakete zerlegt werden. Die Erreichung von Zwischenzielen soll im Jahrestakt gemessen werden.

Gruppe 4: Die Gruppe entwickelte die Idee eines „One-Stop-Shop“. In diesem erhalten interessierte EigentümerInnen - aber auch MieterInnen - unter anderem Informationen zu Förderungen oder Krediten für Sanierungen. Diese zentrale Stelle soll der momentanen Fragmentierung von Wissen entgegenwirken und den Mehrwert von Verbesserungsmaßnahmen am Altbestand für EigentümerInnen klarer erkennbar machen.

Am Abend stießen engagierte Leute von LandLuft, dem Verein zu Förderung der Baukultur im ländlichen Raum, zu den Stadt-Expertinnen und -Experten. Obfrau Elisabeth Leitner stellte die Aktivitäten des Vereins sowie den neuen Baukulturgemeinde-Preis vor

Somit waren der städtische und der ländliche Blickwinkel auf eine breite Themenpalette im Raum vertreten, als beim Schmankerl-Buffet der Smart City Tag 2019 in und vor der Hösshalle ausklang.